Mechthild Overbeck-Neuhaus

Weder Fisch noch Fleisch

Mit 16 musste ich unbedingt einen Angelschein haben.

Ich wollte in der Lage sein, mich als Frau allein ernähren zu können, wenn es hart auf hart käme.  Selbstbestimmt durchs Leben gehen und von keinem Kerl abhängig sein, das wollte. Dass der nette Typ aus dem Sportverein gern angeln ging, war purer Zufall, meine ich jedenfalls. Mit 16 fallen Widersprüche in der eigenen Argumentation nicht auf. Später auch nicht immer. Bald wusste ich zwar, wie man auf Karpfen geht, aber der nette Typ ging mir vom Haken.

Die Prüfung schaffte ich. Geangelt habe ich nur einmal, dann bekam ich eine Fischallergie. Das war nicht so schlimm. Von der Physiognomie her war ich eh nicht prädestiniert, Anglerin zu sein, zu kurze Arme. Ich hätte nie zeigen können, wie groß der Fisch wirklich war. Ich dachte noch darüber nach, ob ein Jagdschein mir noch helfen könnte, doch mir war Jägermeister  zuwider und Sprachenlernen war nicht so mein Ding,  Anglerlatein konnte ich schon. Nach einiger Zeit hatte ich die Ich-will-autark-sein-Phase  hinter mir. Es gab einfach genügend Lebensmittelmärkte und außerdem Männer mit anderen Hobbys.

Nun, viele Jahre später, bin ich wieder auf Sinnsuche, leider an dem ersten verregneten Samstag im November. Ganz schlechte Zeit für Sätze wie: Wer früh aufsteht, hat mehr vom Tag. Ganz schwierig, wenn sich schon vor dem Frühstück Einsamkeit breitmacht. Ich gehe in die Küche und  stolpere über die aufgerollte Teppichkante. Da liege ich und röchele vor Schmerz.  Niemand reagiert. Nichts bewegt sich. Ich setzte mich an den Küchentisch und reibe die schmerzende Stelle am Arm. Das  Tischset vor mir ziert ein Fischmotiv. Urplötzlich trifft mich die Erkenntnis, dass Fische ein Problem nicht haben: Hinfallen.
Weil man auch mit Fischallergie durchaus die Anschaffung eines Aquariums  in Erwägung ziehen kann, denke ich darüber nach. Dann wäre ich weniger allein. Aber Fische zu halten ist eine knifflige Angelegenheit. Die sagen ja nichts. Man fragt sich: Alles ok? Geht’s ihnen gut? Leben sie noch? Ich meine, mit Männern ist das ähnlich. Einen Hund könnte ich mir anschaffen. Gassi gehen wäre gut für meine Gesundheit. Außerdem sorgt ein Hund täglich aufs Neue dafür, dass man sich gut fühlt. Wenn man ihn fragt: Na, wie sehe ich aus? Dann antwortet er: Wow! 
Aber Hundehaare auf dem neuen Sessel, meinem Lieblingssitzplatz? Nein, auf keinen Fall. Bei dem Gedanken fällt mir auf, dass für Hunde das Wort Sitzplatz äußerst verwirrend sein muss.
Vielleicht doch ein Aquarium mit ein paar Zebrabärblingen und einem Antennenwels. Auf jeden Fall Putzerfische. Ich überlege sogar, ob ich vielleicht nur Putzerfische kaufen sollte, um dann regelmäßig meine Wohnung zu fluten, lasse den Gedanken jedoch wieder fallen. Schließlich sind meine Orchideen keine Wasserpflanzen.
Ich denke zu viel. Deshalb koche ich erst einmal einen Tee. Auf der Küchenplatte befreie ich eine von den ins Netz gegangenen Mandarinen, die ich dann in einem mäßigen Meditationstempo aus ihrem Goldfischkostüm pelle.

Ach, wäre der heutige Tag ein Fisch – ich würde ihn wieder reinwerfen.