Pfarrer Markus Trautmann

Die Dülmener Lateinschule auf dem Kirchplatz

Über dem grünen Rasen unweit des Kirchturms verlaufen Streifen aus grauem Stein. An einigen Stellen erheben sich massive Blöcke in die Höhe, auf ihnen kann man sitzen. Diese Steine markieren den Verlauf der Grundmauern einer früheren Schule.

„Grabe, wo du stehst !“, so lautet ein Motto in der Geschichtspädagogik, das dazu anregen will, im eigenen Lebensumfeld die Spuren der Vergangenheit zu erkunden. Es ist ein Be­kenntnis sowohl zur Lokalgeschichte wie auch zur Alltagsgeschichte. „Grabe, wo du stehst !“, das ist auch eine Erinnerung daran, dass solche Zeugnisse der Ge­schichte mitunter gar nicht weit entfernt sind oder möglichst spektakulär sein müssten. Sondern dass uns solche Spuren manchmal buchstäblich zu Füßen liegen oder mit den Händen zu greifen sind. Wir stellen die Lateinschule auf diesem Kirchplatz vor – oder genauer: die heutigen Spuren dieser Schule.

Der Archäologe Dr. Gerard Jentgens erläutert: „Diese Schule wurde vermutlich 1323 in einem Zug mit dem Stiftskapitel von St. Viktor eingerichtet. Schon für das Jahr 1325 erfährt man, dass dort der Rektor Alhardus tätig ist. Lateinschulen wurden zunächst von kirchlicher Seite gegründet und entstehen an Bischofssitzen, Klöstern und Stiften. Entsprechend liegen die Schulen meist dicht bei den Kirchenbauten. Sie dienten in erster Linie der Ausbildung des kirchlichen Nachwuchses, der Kleriker.“ Den Kindern wurde hier auch die damals offizielle Sprache der Kirche und der Behörden beigebracht wurde – eben Latein. Dr. Jentgens: „Bald aber sieht auch die städtische Öffentlichkeit die Notwendigkeit für die Bildung der Heranwachsenden, beispielsweise im Hinblick auf zukünftige Verwaltungsmitarbeiter. Auch in Dülmen beteiligt sich die Stadt spätestens seit 1434 an der Finanzierung der Lateinschule bzw. der Lehrkräfte.

Aus späterer Zeit gibt es auch eine knappe Beschreibung des Schulgebäudes, die zwei große und einen kleinen Raum erwähnt. Auch der archäologische Befund zeigt im Erdgeschoss eine Gliederung durch eine Quermauer. Sie teilt die Grundfläche im Verhältnis von etwa 1:2 auf. Darüber hinaus zeigt die Freilegung die Eingangsbereiche und der Standort des Kamins wird sichtbar. Die relativ geringe Breite des Fundaments aus großformatigen Backsteinen (Klosterformaten) weist darauf hin, dass die Dülmener Schule ein Fachwerkgebäude war.“ Die heute noch erhaltene Lateinschule in Lüchow im Wendland gibt eine recht gute Vorstellung von dem Aussehen eines solchen Gebäudes.

1831 wurde das in die Jahre gekommen Schulgebäude, in dem Jungen und Mädchen unterrichtet wurden, zum Abbruch verkauft und ein neues Gebäude an der Münsterstraße errichtet. Später kamen dann 1868 die Schule auf dem Bült und 1870 die Schule auf der Neustraße dazu.

Immer wieder finden die Archäologen im Boden allerlei Dinge, die Kinder früher so in der Schule verloren oder liegen ließen: Schiefertafel, Schreibfeder, Haarkamm oder Murmeln. Nach rd. 200 Jahren, seitdem das Schulgebäude der „Lateinschule“ abgerissen wurde, trifft man hier heute wieder junge Leute: Kinder und Jugendliche, die sich an den Steinblöcken unter den großen Lindenbäumen treffen, sich unterhalten – und die Seele baumeln lassen.